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Versöhnung statt Hass

Kirchen in Gießen erinnern an den Anschlag auf die Synagoge in Halle

"Unter den Juden in Deutschland machen sich Sorgen und Ängste breit, ob man in diesem Land noch eine Zukunft hat."

In einer gemeinsamen Erklärung haben Vertreter der Kirchen in Gießen an den Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle erinnert und zur Solidarität mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland aufgerufen.

Sie wollen ein deutliches, öffentliches Zeichen der Verbundenheit setzen und „die schweigende Mehrheit unserer Zivilgesellschaft dazu auffordern, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht das Feld zu überlassen“.
Es sei ein „Skandal, dass jüdisches Leben in Deutschland nur unter Polizeischutz und hinter hohen Mauern stattfinden kann“.

Unterzeichner der in den Gießener Tageszeitungen am Freitag veröffentlichten Erklärung sind der Propst für Oberhessen, die evangelischen und katholischen Dekane sowie Vertreter der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sowie des Freundeskreises der Jüdischen Gemeinde.

Sorgen und Ängste unter Juden

Unter den Juden in Deutschland machen sich „Sorgen und Ängste breit, ob man in diesem Land noch eine Zukunft hat“. Weiter heißt es in der Erklärung: „Wir treten dafür ein, dass alle Menschen, mit und ohne Religion, ihren Glauben und ihre Überzeugungen ungehindert leben können, solange sie nicht die Freiheiten anderer einschränken oder beschädigen. Wir treten dafür ein, dass in unserem Land Versöhnung statt Hass gelebt wird, Offenheit statt Abgrenzung, Dialog statt Niederbrüllen und Menschlichkeit und Solidarität mit den Schwachen statt Menschenverachtung. Es kommt auf jeden Einzelnen von uns an.“

Dokumentation der Erklärung

Versöhnung statt Hass

Gemeinsame Erklärung von Vertretern der christlichen Kirchen in und um Gießen

Vor einem Jahr, am 9. Oktober 2019, griff in Halle ein schwerbewaffneter Mann die dortige jüdische Gemeinde an. Der Anschlag auf die Synagoge misslang, weil die Eichentür der Synagoge dem Angreifer standhielt. Dafür wurden zwei andere Menschen getötet.
Der Attentäter hatte für seinen Anschlag bewusst den höchsten jüdischen Feiertag ausgesucht, Jom Kippur, den großen Versöhnungstag. Sein Motiv war ein tiefsitzender Antisemitismus und er hatte die Absicht, möglichst viele Juden in der Synagoge zu töten.

Ein Jahr nach diesem antisemitisch motivierten Attentat rufen wir, evangelische und katholische Christen, zur Solidarität mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland auf. Mit dieser Erklärung wollen wir ein deutliches, öffentliches Zeichen der Verbundenheit setzen und die schweigende Mehrheit unserer Zivilgesellschaft dazu auffordern, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht das Feld zu überlassen.

Dass nach 1945 wieder jüdisches Leben in Deutschland entstanden ist, ist ein Wunder und es ist ein Zeichen der Versöhnung. Es ist ein sichtbares Zeichen für einen Neuanfang zwischen Juden und Deutschen und eine Chance für unser Land. Wir sehen aber mit Erschrecken, wie dieser Neuanfang durch rechte Hetze immer offener bedroht wird. Judenfeindschaft im Internet und in der Gesellschaft spült alte Vorurteile und Verschwörungstheorien wieder an die Oberfläche und vergiftet das Zusammenleben.

Es ist ein Skandal, dass jüdisches Leben in Deutschland nur unter Polizeischutz und hinter hohen Mauern stattfinden kann. Das ist uns erneut mit dem jüngsten Angriff auf einen jüdischen Studenten vor der Hamburger Synagoge drastisch vor Augen geführt worden.

Und es ist ein Skandal, wenn z. B. Polizisten antisemitisches Gedankengut miteinander austauschen, sei es auch nur aus Gedankenlosigkeit oder aus falsch verstandener Kameradschaft. Unter den Juden in Deutschland machen sich Sorgen und Ängste breit, ob man in diesem Land noch eine Zukunft hat. Jüdische Gemeinden ziehen sich zurück und mancher packt in Gedanken schon seinen Koffer.

Wir erklären dazu: Wir wollen jüdisches Leben in Deutschland und wir stellen uns deshalb solidarisch vor und neben unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und ihre Synagogen.

Es ist die Aufgabe des Staates, jüdisches Leben zu schützen und antisemitische und fremdenfeindliche Straftaten konsequent zu verfolgen. Und es ist Aufgabe des Staates, an Schulen, Universitäten und in anderen Bildungseinrichtungen über Antisemitismus und den Holocaust aufzuklären.

Aber alles staatliche Handeln ist wertlos, wenn die Zivilgesellschaft nicht für die Werte einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen und menschenfreundlichen Gesellschaft einsteht. Wir dürfen uns nicht an die Verrohung der Sprache und der Gedanken gewöhnen und wir dürfen auch nicht in Resignation und Gleichgültigkeit verfallen.

Wir treten dafür ein, dass alle Menschen, mit und ohne Religion, ihren Glauben und ihre Überzeugungen ungehindert leben können, solange sie nicht die Freiheiten anderer einschränken oder beschädigen. Wir treten dafür ein, dass in unserem Land Versöhnung statt Hass gelebt wird, Offenheit statt Abgrenzung, Dialog statt Niederbrüllen und Menschlichkeit und Solidarität mit den Schwachen statt Menschenverachtung. Es kommt auf jeden Einzelnen von uns an. Wir alle sind aufgefordert, gegen das Aufleben von Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und die Ausgrenzung von Minderheiten unsere Stimme zu erheben, jeder an seinem Ort.

Unterzeichner:
Propst Matthias Schmidt, Propstei Oberhessen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Dekan Hans-Joachim Wahl, Katholisches Dekanat Gießen
Dekan André Witte-Karp, Evangelisches Dekanat Gießen
Pfarrer Cornelius Mann, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar e.V.
Pfarrer Klaus Pötz, Freundeskreis der Jüdischen Gemeinde in Gießen (ehemals Synagogenbauverein)


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