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Die Geschichte des Thomaszentrums nach 1964

Seit Gründung der Thomasgemeinde im Jahr 1964 gibt es einen kleinen Streit in der kirchlichen Landschaft Gießens:
Die Paulusgemeinde sieht in Thomas ihre "Tochterge­meinde", ebenso verweist die Michaelskirchengemeinde Wieseck darauf, dass sie die "Muttergemeinde" von Thomas ist. Wer hat Recht?

Die Paulusgemeinde kann auf die von ihr am 10. Oktober 1965 gestiftete Altarbibel verweisen, die der "Tochtergemeinde Thomas" gewidmet ist. Aber auch Wieseck hat gute Argumente: Das Gemeindehaus der Thomasgemeinde lief in der Gründungsphase von Thomas als Bauprojekt "Gemeindehaus Wieseck II".

Dieser schon seit langem durchaus friedliche und freundliche Wettstreit um die wahre  Mutterschaft hatte am Anfang eine durchaus kritische Phase. Die Ursache: Das Gebiet der Thomasgemeinde war bis Anfang der 60er Jahre Ackerland, nicht besonders fruchtbares "Knirsch", so nennt man diesen steinigen Boden. Er wurde von Wiesecker Bauern bearbeitet, gehörte aber zur Gemarkung Gießen. Politisch war Wieseck längst in Gießen eingemeindet. Kirchlich verlief zwischen Gießen und Wieseck lange Jahre die Grenze zwischen den Evangelischen Dekanaten Gießen und Kirchberg. Zu Beginn der 60er Jahre hatte man es für zweckmäßig gehalten, dem kleinen Dekanat Kirchberg die zukünftige Thomasgemeinde als Wieseck II zuzufügen. Vielleicht hoffte man auch, so schneller die Baumittel von der Kirchenleitung in Darmstadt zu bekommen.

Auch als die Thomasgemeinde nicht mehr Wieseck II hieß, gehörte sie zunächst zum Dekanat Kirchberg. Aber der Kirchenvorstand der Thomasgemeinde wollte nach Gießen! Am 12. Juni 1967 stellte er den Antrag auf Umgemeindung. Die Dekanatssynode Kirchberg lehnte diesen Antrag am 26. November 1967 jedoch ab! Dabei gab es heftige Auseinandersetzungen: "Verrat", "Treulosigkeit" waren Vorwürfe der ländlich geprägten Gemeinden im Dekanat Kirchberg. Auf der Seite der Thomasgemeinde tat sich vor allem der Kirchenvorsteher Dr. Juist Grolle hervor, der spätere Wissenschaftsminister in Niedersachsen und Schulsenator in Hamburg. Es ging bis zur Verteilung von Protestbriefen in der Dekanatssynode Gießen, was dann von höchster kirchlicher Stelle getadelt wurde. Erst am 25. Januar 1970 konnte Pfarrer Otto Dettmering bekannt geben: "Die Thomasgemeinde gehört ab 1.1.1970 zum Dekanat Gießen."

22 Jahre später wurden in einem kirchenrechtlichen Verfahren die Dekanatsgrenzen zwischen Gießen und Kirchberg erneut neu geordnet. Seit 1.1. 2002 gehört auch die Evangelische Michaelsgemeinde in Wieseck kirchlich nach Gießen und ist Mitglied des Evangelischen Dekanats Gießen. Die Thomasgemeinde pflegt längst ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu seinen beiden Müttern - in einem mittlerweile "erwachsenen" und gut parnerschaftlichem Miteinander. Man sagt gern: "Bei Westwind freuen wir uns über die Glocken der Paulusgemeinde und bei Ostwind über die von Wieseck." Und dazwischen erklingen die eigenen Thomasglocken.
Ludwig Clotz / mkr

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